Kommentar von Gita Neumann

Wie sehr (!) im Recht die Moses-Figur mit ihrem 11. Gebot Zah­let Euren Kir­chen­tag selbst ist, zeig­te sich mir erst peu à peu. Als ich am Don­ners­tag, 26.5. als ein­ge­la­de­ne Refe­ren­tin zur Podi­ums­ver­an­stalt­tung „Ster­be­hil­fe oder Ster­be­be­glei­tung“ anreis­te, dach­te noch ange­sichts eines nur etwa halb­vol­len Saals mit gut 70 Zuhörer/innen ver­wun­dert: Da besteht aber wenig Inter­es­se. Da war mir noch nicht klar, dass dies eine gute Quo­te war ange­sichts der vie­len fast lee­ren Ver­an­stal­tun­gen. Allein in einem ein­zi­gen Zeit­fens­ter von 14–15:30 Uhr gab es am Do. 104 Parallelveranstaltungen!

Das über­aus pom­pö­se und irr­sin­nig auf­ge­bla­se­ne Pro­gramm als Maß­stab für die Bedeu­tung der Kir­che? Als quan­ti­ta­ti­ven Ersatz für qua­li­ta­tiv mas­si­ve Kon­flikt­scheu und Man­gel an Auseinandersetzungsfähigkeit?

Man hät­te sich viel bes­ser auf ein Vier­tel bis ein Drit­tel der Ver­an­stal­tun­gen beschrän­ken und dann von den 10 Mil­lio­nen Kos­ten ja den ent­spre­chend gerin­ge­ren Anteil selbst über­neh­men, also das 11. Gebot befol­gen kön­ne. Ins­ge­samt weist das Pro­gramm ca. 1750 Referent/innen aus. Ich selbst erhielt Fahrt­kos­ten und Über­nach­tung (ca. 100 Euro im Messehotel).

Als eine Art Ali­bi-Huma­nis­tin war ich ein­ge­la­den auf einem sich nur schein­bar streit­bar anhö­ren­den Podi­um Ster­be­hil­fe oder Ster­be­be­glei­tung? zusam­men mit 4 Chris­ten-Ver­tre­te­rIn­nen: Hos­piz­lei­te­rin, Kran­ken­haus­seel­sor­ge­rin, SJ-Phi­lo­soph, Pfar­rer. Als Impuls wur­de das wür­de­vol­le Ster­ben im Hos­piz vor­ge­stellt mit Zita­ten von Bewohner/innen.

Im Vor­ge­spräch vor Ort hat­te ich ange­bo­ten, auch Zita­te zu brin­gen, aller­dings aus der Beschrei­bung einer Toch­ter Wie unser Vater im Pfle­ge­heim starb – ein erschüt­tern­der Bericht von Anfang 2016 aus dem an sich ja gut ver­sorg­ten Ber­lin (Schlag­an­fall­pa­ti­ent mit schlecht ver­heil­tem Ober­schen­kel­hals­bruch im gelähm­ten Bein mit uner­träg­li­chen Schmer­zen), den ich dabei hat­te: Die Fami­lie schafft es trotz mas­si­ver Anstren­gung bei zig Pal­lia­tiv­me­di­zi­nern und SAPV-Teams* (Wir sind für Krebs­pa­ti­en­ten zustän­dig), Schmerz­am­bu­lan­zen, Anfra­gen bei über ein dut­zend Ärz­ten zusam­men mit dem Pfle­ge­heim usw. nicht, halb­wegs kon­ti­nu­ier­li­che Abhil­fe zu schaffen.

Es wer­den meist nur Fen­ta­ny­lpflas­ter ver­ord­net, zwar auch höher dosiert – die aber gar nichts nut­zen, da der alte Mann bei nur noch 40 kg gar kein Unter­haut­fett­ge­we­be mehr hat, wel­ches für die Wir­kung erfor­der­lich ist. Im Kran­ken­haus, als das betrof­fe­ne Bein ein­mal zum Rönt­gen gestreckt wer­den muss, wird eine Nar­ko­se ver­wei­gert – Kreis­lauf zu insta­bil, Pati­ent könn­te dar­an ja ster­ben – die Schmer­zens­schreie wer­den die Kin­der nie vergessen.

Doch hier, am Dis­kus­si­ons­ort des Katho­li­ken­tags, will davon nie­mand hören. Ich soll das doch lie­ber nicht brin­gen, heißt es im Vor­ge­spräch mit den ande­ren Podiumsteilnehmer/innen – ein Extrem­fall. Wir soll­ten doch das Publi­kum nicht in Panik ver­set­zen, son­dern tröst­lich wirken.

Also Kuschel­kurs – ja es bleibt auch im Pfle­ge­heim hos­piz­lich noch viel zu tun, heißt es dann im Abschluss­state­ment. Immer­hin habe ich dort kund­ge­tan: Es ist der katho­li­schen Kir­che anzu­las­ten, dass immer noch und wie­der zuneh­mend die Gefahr einer Ster­be­ver­kür­zung so abschre­ckend wirkt – ein Kol­la­te­ral­scha­den des § 217 StGB, den wir der erfolg­rei­chen Kir­chen- und Hos­piz­lob­by zu ver­dan­ken haben. Im Publi­kum und auf dem Podi­um: Null Reak­ti­on dar­auf, weder zustim­mend noch zurück­wei­send. Es wird so hin­ge­nom­men – eine Aus­ein­an­der­set­zung fin­det nicht ansatz­wei­se statt.

Im Publi­kum etli­che Pal­lia­tiv­ärz­te und ‑ärz­tin­nen offen­bar aus dem Müns­ter­land und NRW: Pro­ble­me wer­den qua­si abge­strit­ten, es wird das Lob­lied der Pal­lia­tiv­me­di­zin gesun­gen. Pati­en­ten­ver­fü­gun­gen wür­den doch heu­te über­all dank­bar zur Kennt­nis genom­men und befolgt. Ein­zi­ges Pro­blem: Ja, die Kran­ken­kas­sen wür­den sich noch oft genug bei der Kos­ten­zu­sa­ge schwer tun. Dann Schluss der über­aus har­mo­ni­schen Veranstaltung.

Eine (teils sogar leicht defen­siv gefärb­te) Moll-Stim­mung scheint mir für den Katho­li­ken­tag durch­gän­gig gewe­sen zu sein. Ver­ständ­nis aller Orten, es sol­len doch die Gemein­sam­kei­ten statt Tren­nen­dem bei allen Men­schen guten Wil­lens betont wer­den – bloß um Him­mels Wil­len kei­ne Kon­flik­te anspre­chen oder sich dar­über gar streit­bar auseinandersetzen.

In einer Podi­ums­ver­an­stal­tung u. a. mit dem Prä­si­den­ten des Huma­nis­ti­schen Ver­ban­des Ber­lin-Bran­den­burg Bei­trä­ge zur Gestal­tung einer guten Gesell­schaft gab es einen ein­zi­gen Streit­punkt, den der Redak­teur Tho­mas Bil­le kurz ansprach: Hät­te man die AfD nicht doch bes­ser ein­la­den sol­len? Ansons­ten ver­mit­tel­ten die Teilnehmer/innen (dar­un­ter eine Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­te der Lin­ken) für mein Gefühl auch dort die Saft-und Kraft­lo­sig­keit, wel­che Gysi zurecht beklagt – und einen schon aben­teu­er­li­chen Kon­sens. Allein dass sich die Bischö­fin Rose­ma­rie Wen­ner aus Frank­furt a.M. stets allein auf ihren Got­tes­glau­ben berief, fiel aus dem Rahmen.

Die offe­ne Prä­senz in der Stadt, die vie­len krea­tiv gestal­te­ten wei­ßen Spitz­dach-Zel­te, die vie­len inter­na­tio­na­len Musik­dar­bie­tun­gen unter offe­nem Him­mel oder in der Bahn­hof­hal­le habe ich durch­aus als gelun­gen und aner­ken­nens­wert empfunden.

Alles gut, teu­er und schön. Wenn wir denn nicht in einer Welt und Rea­li­tät leben wür­den, die den Ver­zicht auf streit­ba­re Aus­ein­an­der­set­zung um rich­ti­ge und fal­sche Wege durch­aus zur Sün­de machen.


Über Gita Neumann

Da bie­tet sich der Ver­gleich mit dem Kir­chen­tag der EKD von 2013 in Ham­burg an:

Was wie­der­um hier­zu passt: http://​www​.kath​.net/​n​e​w​s/55365


* Spe­za­li­sier­te ambu­la­te Pal­lia­tiv-Ver­sor­gung (SAPV)

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